Ihre Entwicklung.
Unsere Gedanken.

Es ist jetzt fast dreißig Jahre her, dass ich den Filmklassiker Forrest Gump im Kino gesehen habe. Damals war ich ein Teenager, und wahrscheinlich habe ich die Hälfte des Films nicht wirklich verstanden. Aber ich erinnere mich noch sehr lebendig an diese Szene: Forrest Gump sitzt auf der Bank an der Bushaltestelle und erzählt der Dame neben ihm, dass ihm als Football-Star, Kriegshelden und nationaler Berühmtheit von seiner Heimatstadt Greenbow, Alabama, ein großartiger Job angeboten worden sei. Und im nächsten Bild sehen wir ihn auf einem fahrbaren Rasenmäher sitzen und das Gras auf dem Football-Feld mähen. Dafür gab es Gelächter im Kino. Und die Szene geht noch weiter: Sein Freund, Lieutenant Dan, investiert Forrests Geld in Apple-Aktien, was Forrest Gump unglaublich reich macht. Und dann sagt Forrest Gump zu der Dame neben ihm diesen Satz: “And because I was a gazillionaire and I liked doing it so much, I cut that grass for free.“ Und auch da wurde natürlich gelacht. Alle Menschen, die den Film gesehen haben, wissen, dass Forrest Gump einen eher unterdurchschnittlichen IQ hatte. Und die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer haben auch verstanden, dass er dennoch (und vielleicht auch ein bisschen genau darum) über eine enorme Weisheit verfügte. Ich bin mir aber nicht sicher, wie vielen klar ist, welche profunde Erkenntnis in der Rasenmäher-Anekdote steckt. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen? Ein Mann, dem aufgrund seiner Verdienste alle Türen offen stehen sollten, freut sich wie ein Kind, dass ihm ein Job ausgerechnet als Platzwart angeboten wird? Und dann verzichtet er auch noch freiwillig auf sein Gehalt? Das mag ja schön sein in kitschigen Hollywood-Filmen, aber in der ernsten Realität unserer Arbeitswelt ist das doch eher naiver Quatsch – oder? Irgendwann, an der Schwelle vom Kind zum Erwachsenen, wird uns klar gemacht, dass Arbeit und Vergnügen voneinander zu trennen sind. Es gilt: “Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.” Und, na klar: “Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps.” Und wer jetzt glaubt, das seien verstaubte alte Sprüche, der kann sich mal auf Business-Plattformen wie LinkedIn umschauen, wie oft die Maxime “Work hard, play hard” verkündet wird. Da geht es dann meistens um Vergnügungen im Kreis der Kolleginnen und Kollegen, wilde Partys, aufregende Teambuilding-Events, gemeinsame Reisen in die Sonne. Alles ein großer Spaß, den man sich aber vorher ausdrücklich durch besonders harte Arbeit verdient hat. Ich glaube nicht, dass Forrest Gump auf seinem Rasenmäher solche Gedanken hatte. Wer Tom Hanks in dieser Rolle sieht, spürt seine pure Freude und tiefe Befriedigung. Und das nicht etwa bei einer Arbeit, die besonders kreativ oder überhaupt nur produktiv ist. Sie ist auch weder hoch angesehen noch hochbezahlt. “Work hard, play hard” gibt es nicht für Forrest Gump – weil Arbeit und Spiel bei ihm eins sind. Und darin besteht das Geheimnis dieser Geschichte. Arbeit aus Spaß Wenn wir als Erwachsene an “Spielen” denken, dann meist entweder als Beschäftigung von Kindern oder als Hobby mit einem festen Satz an Regeln, wie beim Fußball zum Beispiel. Ziemlich sicher denken wir nicht an unsere Arbeit, mit der wir unser Geld verdienen. Aber warum zwingen wir uns zu dieser künstlichen Trennung? Vielleicht weil wir nur dem einen Wert zugestehen, was wir auch in Euro beziffern können? Oder weil wir der Arbeit einen ernsthaften Zweck beimessen, sie als “sinnstiftend” betrachten, ihr einen “Purpose” zuordnen? Warum auch sonst sollten wir diese Arbeit erledigen? “Aus Spaß” – das ist eine Antwort, die uns auf den ersten Blick irritiert. Sie scheint der nötigen Ernsthaftigkeit und Bedeutung unserer Arbeit nicht gerecht zu werden. Aber erlauben wir uns doch mal den Gedanken: Wie würde es denn aussehen, wenn wir unsere Arbeit einfach aus Lust und Laune machen würden? Vielleicht so wie Forrest Gump auf seinem Rasenmäher. Kickertisch und Lego im Büro? Wenn ich für die Betrachtung von Arbeit als Spiel plädiere, dann meine ich eines damit allerdings explizit nicht: den inzwischen zum Klischee verkommenen Kickertisch im Büro. Es geht nicht um eine unternehmenskulturell verordnete “Happiness”, die an unser Tagwerk gewissermaßen angeflanscht wird. Es geht um etwas, das viel tiefer in uns liegt: unsere Haltung, unser Blick auf das Leben insgesamt. Es geht um eine gedankliche Öffnung und das Einreißen der Barriere in unseren Gehirnen, die uns sagt, dass Arbeit in erster Linie ernst und hart zu sein hat, und Spaß bestenfalls ein willkommenes Nebenprodukt. Forrest Gump hatte das Glück, mit seiner spielerischen Einstellung geboren zu sein, und vor allem die intuitive Weisheit, sich auch später im Leben nicht davon abbringen zu lassen. Wir dagegen müssen diese spielerische Haltung neu lernen, weil wir sie in der Kindheit zurückgelassen haben. Und nochmal: Es geht dabei nicht darum, im nächsten Workshop mit Legosteinen zu arbeiten. Es ist eigentlich viel einfacher als das – und gleichzeitig schwer, weil es an unser Inneres geht. Aber das nächste Mal, wenn Sie in einem schwierigen Meeting sitzen, wenn die Ergebnisse schlechter sind als erhofft, oder wenn Sie Ärger mit einem Kollegen haben, erlauben Sie sich einfach mal den Gedanken: “Das hier ist ein Spiel, das wir zusammen spielen.” Und dann schauen Sie mal, was das mit Ihnen macht.

Ich bin Planer. Ich bin sogar ein professioneller, man könnte sagen: ein gelernter Planer. Die meisten Jobs, die ich während meiner Tätigkeit im Medienbereich hatte, enthielten den Begriff „Planer“ schon im Titel. Ich bin aber auch privat ein Planer. Zu den häufigsten Fragen, die meine Frau mir im Alltag stellt, gehören „Wann müssen wir los?“ und „Wird es heute regnen?“. Es scheint also selbstverständlich, dass ich viel Zeit mit Google Maps und der Wetter-App verbringe. Die Antwort, die ich eigentlich auf die Frage nach möglichem Niederschlag geben möchte, lautet immer: „Ich weiß es nicht.“. Das wäre ehrlich und korrekt, so gut die Meteorologie in Deutschland auch ist. Aber das würde meiner Frau nicht helfen. Darum sage ich so etwas wie: „Die Regenwahrscheinlichkeit heute ist extrem gering. Wenn überhaupt, scheinen später kleine Schauer möglich. Wie immer sage ich das ohne Gewähr.“ Das ist kein Witz, so rede ich wirklich manchmal. Und gleichzeitig propagiere ich immer wieder die Prinzipien der Improvisation als fundamentale Philosophie – für das Arbeitsleben und auch das Leben insgesamt. Planen und improvisieren, das fühlt sich doch eigentlich zunächst nach einem Widerspruch an. Aber da ist keiner. Im Gegenteil. Was uns ein simples Spiel über das Wesen der Planung lehrt Eine meiner liebsten Übungen für Improvisation ist die „1-Wort-Geschichte“. Sie ist so schön, weil sie so simpel und deswegen so radikal ist. Zwei oder mehr Menschen erzählen zusammen eine Geschichte – und zwar im Wechsel jede Person immer nur mit einem Wort, jeweils anschließend an das, was vorher schon gesagt wurde. Wenn man das noch nie gemacht hat, klingt das nach Quatsch und Chaos. Aber wir erleben in unseren Workshops und Trainings jedes Mal wieder, wie dabei innerhalb weniger Sätze wunderbare Geschichten entstehen. Die 1-Wort-Geschichte zeigt auch sehr eindrucksvoll das Spannungsverhältnis von Plan und Wirklichkeit. Hinter jedem Wort, das ich der Geschichte hinzufüge, steckt ein Plan. Ich merke, wo in der Erzählung wir gerade stehen und entwickle auf dieser Basis eine Idee, wo ich mit der Geschichte hin möchte. Mein Wort ist also alles andere als ein Zufallsprodukt. Aber in dem Moment, wo die andere Person ihr nächstes Wort hinzufügt, aus ihrer Perspektive ebenso zielgerichtet, wird mein Plan mit hoher Wahrscheinlichkeit komplett in sich zusammenbrechen. Die Realität hat sich verändert. Ein neuer Plan muss her. Ein Beispiel: Person 1 (P1) etabliert einen Protagonisten, Person 2 (P2) reagiert. P1 beginnt mit: „Peter“ P2 ergänzt: „war“ P1: „ein“ Und hier hat P1 einen Plan. Sie stellt sich Peter als Feuerwehrmann vor. P2 müsste also jetzt einfach nur „Feuerwehrmann“ sagen. Macht sie aber natürlich nicht. P2 sagt nämlich: „trauriger“ Wie bitte? Was hat P2 denn da vor? P1 hatte sich doch schon gedanklich so schön auf ihre Geschichte vom Feuerwehrmann vorbereitet! Ein guter Improvisator erkennt sofort die zwei Möglichkeiten: Entweder bleibt P1 bei ihrer Idee vom Feuerwehrmann. Der muss dann aber jetzt definitiv ein trauriger Feuerwehrmann, und das wird die Geschichte maßgeblich beeinflussen (und interessanter machen). Oder P1 nimmt den Impuls der Traurigkeit auf und ändert ihren ursprünglichen Plan komplett, macht Peter vielleicht zu einem traurigen Beamten oder einem traurigen König. Auch alles interessant, die Geschichte wird in beiden Fällen spannend weitergehen. Die einzige Option, die P1 nicht mehr zur Verfügung steht, ist die eigentlich geplante: Dass Peter einfach nur ein Feuerwehrmann ist, ganz ohne definierte Gefühlslage. Festhalten oder Loslassen? Dieses Beispiel wirkt vielleicht zunächst nur amüsant und trivial. Aber die Prinzipien hinter dem Spiel der 1-Wort-Geschichte sind näher an der Realität von Businessplänen, als die meisten Manager sich das eingestehen würden. Wir machen einen Plan auf der Basis unseres Wissens, unserer Wahrnehmung der aktuellen Realität. Und auf dieser Basis entwickeln wir eine Vorstellung davon, wie die Welt sich entwickeln wird und was wir in dieser Welt vorhaben. Was wir aber meistens ignorieren ist die Tatsache, dass sich die Welt in jedem Moment ändert. Mal sind die Veränderungen gering genug, dass der Plan noch sinnvoll bleibt. Aber irgendwann – und meistens sehr viel früher, als wir das wahrhaben wollen – müssten wir den Plan eigentlich anpassen. Und manchmal ist das Naheliegendste sogar, den Plan komplett zu vergessen und einen neuen zu machen. Unsere klug erdachten Pläne zu ändern, fällt uns aber naturgemäß extrem schwer. Und gerade da hilft die Haltung der Improvisation, die uns klar macht: Wer nicht in der Lage ist, seinen Plan jederzeit an neue Realitäten anzupassen, wird scheitern. Der Fluss von Produktivität und Wertschöpfung wird blockiert, Mitarbeitende verschwenden ihre Zeit und Energie mit sinnloser Beschäftigung. Planung und Improvisation im Einklang Wäre es also nicht vielleicht besser, einfach gar nicht mehr zu planen? Das ist ja die Vorstellung, die viele vom Begriff „Improvisation“ haben. Einfach irgendetwas machen, ausgedacht aus einer Laune heraus. Das ist aber keinesfalls so! Wie die 1-Wort-Geschichte funktioniert auch Improvisation nicht ohne Pläne. Jeder Musiker, Künstler, Sportler beginnt seine Arbeit mit einem Plan, einer Orientierung, einer Vorstellung dessen, was geschehen soll. Und diese Orientierung braucht es auch im Business. Ohne Plan herrschen Zufall und Beliebigkeit. Aber: Wir müssen eben bereit sein, diesen Plan in jedem Moment so anzupassen, wie es die Realität – also zum Beispiel die Marktentwicklung – erfordert. Ohne Klagen über das Eintreten des Unerwarteten, ohne Beharren auf den Ideen einer vergangenen Realität. Das ist Improvisation, und das macht Unternehmen lebendig, flexibel und jederzeit sinnvoll handlungsfähig. Wenn meine Frau mich also fragt, wann wir los müssen, dann kann ich ihr das nicht sagen, wenn ich unser Ziel nicht kenne, keine Ahnung vom Weg dort hin habe und nicht weiß, wie lange man zum Beispiel mit dem Fahrrad dort hin braucht. Ich brauche eine Karte, einen Plan. Und dennoch wird die Realität wahrscheinlich anders aussehen: Ampeln werden länger rot oder schneller grün sein, vielleicht ist der Berg steiler als gedacht, oder ein Reifen ist auf einmal platt. Der Mathematiker und Philosoph Alfred Korzybski hat das perfekt auf den Punkt gebracht, als er schrieb: „The map is not the territory” – Die Karte ist nicht das Gebiet. Und ein Plan ist nicht die Realität.

Als ich am Wochenende meinen Garten für die Aussaat vorbereitet habe, sah ich all das sogenannte Unkraut und die Rasensperren und die Maulwurfsverschrecker der Nachbarn. Und ich dachte daran, wie der Bauer in unserem Dorf demnächst wieder mit dem Glyphosat-Tank über die Felder fahren wird. Unterschiedliche Versuche, die Kontrolle über die Natur zu bekommen. Und wie wir gleichzeitig versuchen, bienenfreundliche Wiesen anzulegen, um das Ökosystem zu retten… Mir fiel wieder ein, wie gut sich die Metapher des Gartens für einen Blick auf Unternehmen, Organisationen und Führung eignet. Denn genau wie ein Garten, ein Wald, oder jedes organische System, führen Unternehmen, beziehungsweise wirtschaftliche Systeme, ein Eigenleben. Und für Führungskräfte ist es außerordentlich hilfreich, sich auf diese Metapher wirklich einzulassen. Denn wir können hier sehr viel über Systeme, über Unternehmen und über Führung lernen. Ein Garten, insbesondere ein Nutzgarten, erfordert ein gewisses Maß an Planung. Wir überlegen, was wir anpflanzen, was wir aussäen, und was der Markt – in diesem Fall vielleicht der Koch – braucht. Ich als Gärtner bin also der mächtige Geschäftsführer dieses kleinen organischen Systems. Der Einfluss des Gärtners ist begrenzt In der alltäglichen Praxis wird aber dann sehr schnell klar, dass mein Einfluss auf dieses System nur sehr begrenzt ist. Es gibt zum Beispiel Jahre, in denen sich aufgrund der Wetterverhältnisse bestimmte Gemüsesorten nur sehr kümmerlich entwickeln. Dafür gibt es plötzlich wahnsinnig viele Zwetschgen, von denen in manchen Jahren aber wiederum ein Großteil von Würmern befallen ist. Immer verlässlich zu erwarten sind auch die sogenannten Schädlinge wie Schnecken, weiße Spinne, weiße Fliege oder Kohlweißlings-Raupen, die versuchen, das System von außen zu schädigen – oder zumindest ganz andere Ziele verfolgen als ich. Ein anderer Punkt ist: Ab dem Zeitpunkt, wo ich mich beim Pflanzen für bestimmte Sorten entschieden habe, ist mein Einfluss auf die einzelnen Pflanzen sowieso sehr gering. Ich werde aus einer Zucchini keine Möhre machen. Und ich kann noch so sehr moralisch an die Gurkenpflanze appellieren: Erstens wird trotzdem aus ihr keine Tomate werden. Und zweitens werden meine moralischen Appelle auch nicht dazu führen, dass sie mehr Früchte entwickelt, wenn ich sie am falschen Standort angepflanzt habe oder sie nicht richtig gieße. Und meine MitarbeiterInnen werde ich auch nicht verändern. Und ich muss das auch nicht! Gärten – und eben auch Organisationen – sind lebendige Systeme. Das gilt es unbedingt zu akzeptieren! Und was passiert, wenn Gärtner versuchen, mit aller Macht (!) die Kontrolle über ein lebendiges System zu erlangen, lässt sich in deutschen Gärten wunderbar beobachten. (vgl. „Gärten des Grauens“ auf Facebook oder Instagram). Was bleibt, ist eine tote Wüste ohne Leben und Kreativität. Was wir aber machen können: Das Beet beobachten und Schlüsse aus dem Verhalten ziehen. Wir können Pflanzen umsetzen und schauen ob sie an dem neuen Ort besser gedeihen. Und wir können kreativ mit dem umgehen, was sich organisch entwickelt. Unkraut als Potential sehen Wenn zum Beispiel das sogenannte Unkraut Giersch anfängt zu wuchern, kann man es ausreißen. Allerdings ist Giersch so extrem robust und verbreitet sich dermaßen beharrlich, dass es spätestens im nächsten Jahr noch stärker zurückkommt. Wenn ich die Ausbreitung von Giersch als Problem nehme und verschiedene Haltungen von Führung durchspiele: Die traditionelle tayloristische Führungskraft würde einen Schottergarten anlegen und notfalls Gift spritzen, um die Kontrolle auf Kosten der Lebendigkeit zu erlangen. Eine Laisser-Faire Führungskraft würde nichts tun und hoffen, dass das organische System sich selbst organisiert. Mit der Haltung der Improvisation dagegen sage ich: Egal was ich mir gewünscht und was ich geplant hatte – die Realität ist: Hier wächst Giersch. UND von hier aus mache ich kreativ weiter…und suche mir leckere Giersch Rezepte raus. Denn so werde ich handlungsfähig und kreativ. Und ich lebe in der Realität, statt in einer Wunsch-Welt, die in Wahrheit nirgends existiert außer in meiner Vorstellung. Ich handle – aber erst nachdem ich die (momentane) Realität verstanden habe. Und ich weiß: Bald kann es wieder ganz anders aussehen. Führungsimpulse im lebendigen System Als Führungskraft kann ich entweder mithelfen, meine Organisation in einen Garten des Grauens zu verwandeln, alles mit Schotter zuschütten und jedes organische Leben, jede Lebendigkeit, jede Flexibilität vernichten. Oder ich kann zusehen, wie alles im Chaos versinkt. Oder– und das wäre unsere Empfehlung: Mit der agilen Haltung der Improvisation kann ich Impulse setzen, beobachten, kleine Veränderungen vornehmen, das vitale Eigenleben des Systems unterstützen (und manchmal begrenzen). Denn alle Menschen (und Pflanzen) verfolgen immer positive Absichten und wollen wachsen und für jedes Verhalten gibt es gute Gründe. Dies zu verstehen, darum geht es. Verändern ohne Verstehen funktioniert nicht. Genau so wie es nichts nützt, an eine Zucchini zu appellieren, bitte eine Aubergine zu sein.

Seit mittlerweile fast fünfzig Jahren, spätestens zum kalendarischen Sommeranfang, wird in schöner Regelmäßigkeit der Schlager “Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?” von Rudi Carell ausgegraben. Dieser Text hier gibt nun endlich die abschließende Antwort auf die Frage des niederländischen Entertainers. Sie lautet: “nie” Jetzt aber bitte nicht enttäuscht mit dem Lesen aufhören! Denn zur Enttäuschung gibt es gar keinen Anlass. Im Gegenteil: In der Erkenntnis, dass der “richtige Sommer” nie kommen wird, steckt ganz viel positive Haltung. Letztlich geht es in Carells Hit um ein Gefühl, das uns allen bekannt sein dürfte: die Nostalgie. Laut Duden ist Nostalgie die “unbestimmte Sehnsucht” nach einer “vergangenen, in der Vorstellung verklärten Zeit”, und zwar ausgelöst durch “Unbehagen an der Gegenwart”. Corona als Nostalgie-Turbo Und schwupp, schon sind wir im Hier und Jetzt der Corona-Pandemie. Eine solche lang anhaltende Krisensituation wirkt wie ein Nostalgie-Turbo. Denn wer kann schon von sich behaupten, angesichts der Lage nicht zumindest ein mildes Unbehagen zu verspüren? Viele Menschen haben verständlicherweise auch Angst, bis hin zu nackter Panik. Und über allem schwebt der Wunsch nach der “guten alten Zeit”, nach dem Zurück zur “Normalität”. Ich glaube, es ist alles andere als Zufall, dass man im deutschen Fernsehen 2021 Neuauflagen von Shows wie “TV total” (eingestellt 2015), “Wetten, dass…?” (2014) oder “Geh aufs Ganze!” (2003) sehen konnte. Sogar das im Original mit Hans Rosenthal zuletzt vor 35 Jahren ausgestrahlte “Dalli Dalli” wurde wiederbelebt, mittlerweile übrigens zum dritten Mal. Und, ist das schlimm? Ist doch schön, wenn man ein bisschen in guten Erinnerungen schwelgen kann, mit warmen Gefühlen im Herzen. Oder nicht? Klar, Nostalgie kann wohldosiert wunderbar sein. Aber sie birgt auch Gefahren, und das hat durchaus auch Relevanz für Unternehmen und andere Organisationen. Nostalgie ist per Definition eine Orientierung in die Vergangenheit, im Extremfall ist sie reaktionär. Die Erzählung von der “guten alten Zeit” kommt unschuldig daher, aber sie hindert einen positiven Blick auf die Gegenwart. Weil in der Nostalgie eine – in den meisten Fällen völlig unrealistische – Verklärung eines diffusen vergangenen Zustands steckt, kann die aktuelle Realität niemals mithalten. Das sorgt unweigerlich für Frustration. Dieses Phänomen können wir besonders momentan in vielen Bereichen unseres Gesellschaftssystems beobachten. Dazu gehören auch Unternehmen. Haben Sie solche oder ähnliche Sätze schon mal in Ihrer Organisation gehört? “Damals, als X noch unser Geschäftsführer war, da hat das hier noch richtig Spaß gemacht.” “Damals, als wir nur ganz wenige Leute waren, da hatten wir hier eine richtige Start-up-Mentalität.” “Damals, als wir noch richtige Partys feiern konnten, da war der Zusammenhalt viel besser.” Bei solchen Aussagen spielt es dann auch keine Rolle, ob die neue Geschäftsführerin wichtige positive Veränderungen angestoßen hat. Oder dass das Unternehmen mit mehr Leuten viel bessere Arbeitsbedingungen bieten kann. Oder dass eher introvertierte Kolleg*innen in einer vergangenen Kultur möglicherweise regelmäßig benachteiligt wurden. Dynamik-Bremse Vor allem aber erschwert Nostalgie in Unternehmen die Haltung, dass die Zukunft (noch) besser werden kann als die Vergangenheit. Und ohne diese Hoffnung entsteht keine Dynamik, keine Kreativität, keine Innovation. Der Blick zurück steht somit im Widerspruch zu einem der wichtigsten Prinzipien aus der Improvisation: “Sei präsent!”. Nur wer den Fokus auf dem Gegenwärtigen hat, spürt die entscheidenden Strömungen innerhalb und außerhalb der Organisation. Natürlich müssen wir aus der Vergangenheit lernen, um zielführende Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Aber wenn dabei Nostalgie dominiert, läuft die Entwicklung an uns vorbei. Schon der Ökonom Keynes hat es auf den Punkt gebracht: „The difficulty lies not so much in developing new ideas as in escaping from old ones.“ Nun steht Nostalgie aber niemals in schriftlichen Unternehmensleitbildern oder Strategiepräsentationen. Sie entwickelt sich als organischer Teil der Unternehmenskultur, weil diese von Menschen geprägt wird, die sich eben wie normale Menschen verhalten. Darum ist es schwierig für Führungskräfte, mit diesem Phänomen umzugehen. Es spielt sich auf der Hinterbühne der Organisation, im Informellen, ab. Hier hilft dann oft eher ein externer Blick durch eine begleitende Beratung, die unvoreingenommen und individuell auf das System und seine Akteure schaut. Wundermittel Akzeptanz Zum Abschluss sei noch mal Rudi Carell aufgegriffen und meine auf den ersten Blick sehr pessimistische Behauptung, dass es niemals wieder richtig Sommer wird. Was bedeutet denn “richtig”? Wann ist ein Sommer ein “richtiger Sommer”? Laut Songtext bei “Sonnenschein von Juni bis September”. Aber – mal von den Bedingungen für Gesundheit, Klima und Landwirtschaft abgesehen – heißt das ja auch, dass man erst im Oktober beurteilen kann, ob der Sommer nun ein richtiger war. Und ist das nicht ein bisschen spät für Sommerfreude? Stattdessen lässt sich auch hier wieder ein zentrales Prinzip der Improvisation anwenden: Akzeptieren, was ist. Jeden Tag, im Sommer wie im Winter, erst einmal annehmen, wie er ist und mit einer positiven Haltung begegnen. Schon die Stoiker haben verstanden, dass alles andere als unsere individuelle Wahrnehmung und unser Umgang mit dem Gegebenen außerhalb unserer Kontrolle liegt. Wenn wir das verinnerlichen liegt es einzig und allein in unserer Hand, und nicht in der von Meteorologen, wie es uns damit geht. Der Klassiker “A Tale of Two Cities” von Charles Dickens beginnt mit den berühmten Worten: “It was the best of times, it was the worst of times.” Alles kann gleichzeitig gut und schlecht, falsch und richtig sein. Die Entscheidung liegt bei uns – auch an Regentagen.

Vor einigen Jahren hatte ich ein Gespräch mit einem Mitarbeiter, der eine Gehaltserhöhung wollte. Ich habe abgelehnt. Seine Leistung, seine Rolle und das Gehaltsgefüge ließen das einfach nicht zu, und das habe ich ihm auch erklärt. Natürlich war der Mitarbeiter enttäuscht. Das ist verständlich und normal in einer solchen Situation. Was mir aber vor allem in Erinnerung geblieben ist, war seine Argumentation. Er sagte: “Aber ich stecke so viel Herzblut in meine Arbeit!” Warum beschäftigt mich dieser Satz bis heute, lange nach unserer Zusammenarbeit? Mit dem Wort “Herzblut” hat der Mitarbeiter das Thema Arbeit, und spezifisch das Thema Bezahlung, auf eine emotionale Ebene gebracht. Das ist in Ordnung, denn natürlich hat auch das an sich sehr rationale Modell von “Leistung gegen Geld” eine zutiefst persönliche Dimension. Der kalte Geldwert und der psychologische Selbstwert gehen an dieser Stelle eine Mischung ein, mit der man umsichtig umgehen muss. Gute Führungskräfte wissen das und finden für sich Wege, das zu tun. Für mich steckt aber in dem “Herzblut”-Argument noch eine andere Komponente. Die Botschaft, die damals bei mir ankam, war: “Ich arbeite mit großer Leidenschaft – und dafür verdiene ich Anerkennung” – und darin liegt für mich eine große Schwierigkeit. Die Idee, dass wir unserer Arbeit mit Leidenschaft nachgehen sollten, ist relativ neu. Früher war das höchstens Künstlern vorbehalten, vielleicht noch dem ein oder anderen besonders hingebungsvollen Handwerker. Der durchschnittliche Bauer stand beim Hahnenschrei aber wohl eher nicht mit dem Gedanken auf, heute das Feld mit ganz besonderem Feuer und Enthusiasmus zu bestellen. Auch die traditionelle Hausfrau hätte von sich wahrscheinlich nicht behauptet, für ihre Arbeit zu brennen und deswegen “die Extra-Meile zu gehen”. Arbeit musste erledigt werden, damit Brot auf dem Tisch, etwas Geld im Sparstrumpf und das Überleben der Kinder gesichert war. Den Job der Sinnstiftung übernahmen Religion, Dorfgemeinschaft und Familie. Heute gibt es den Modebegriff des “Purpose”, der zumeist mit “Sinn” übersetzt wird, im Kern sogar als “Bestimmung” verstanden werden kann. Keine Marke, kein Arbeitgeber, so scheint es, kann sich erlauben, nicht auch diese hohen Ansprüche für die Mitarbeitenden zu erfüllen. Unternehmen werden zu einer zweiten Familie, Arbeit zu einer Art Ersatzreligion. Natürlich ist überhaupt nichts Verkehrtes daran, seine tägliche Arbeit mit hoher Motivation und Engagement zu verrichten. Das altmodische Verständnis von Arbeit als frustrierender “Maloche”, die man nur für Geld erledigt, ist zum Glück längst überholt. Spaß bei und an der Arbeit ist ausdrücklich erlaubt. Und ja, man darf dabei auch gerne leidenschaftlich zur Sache gehen. Der Begriff der Leidenschaft ist aber zweischneidig. Der erste Teil des Wortes sollte uns schon eine Warnung sein. Noch deutlich wird das beim Synonym “Passion”. Der Begriff steht schließlich sowohl für leidenschaftliche Hingabe – als auch für die christliche Leidensgeschichte. Und am Kreuz opfern sollte sich für seine Arbeit niemand. Was ist also der richtige Weg im Umgang mit der Leidenschaft? In unserer Beratungsarbeit greifen wir gerne auf Prinzipien aus der Improvisation zurück. Eines davon lautet: “Sei engagiert!”. Nur wer sich mit all seiner naturgegebenen Neugier und Motivation – in anderen Worten seine Leidenschaft – einbringt, kann wirklich sein volles Potenzial ausschöpfen. Das hat aber im Kontext der Arbeit Implikationen für Führungskräfte und Mitarbeitende gleichermaßen. Wenn die eigenen Leidenschaften so gar nicht zur Rolle in der Organisation und zur Erreichung der Unternehmensziele passen, dann sollte man sich dieses Missverhältnis bewusstmachen. Führungskräfte sind gut beraten, die Leidenschaften ihrer Mitarbeitenden zu kennen und für eine optimale Passung auf die jeweiligen Aufgaben zu sorgen. Als Mitarbeiter sollte man aber auch nicht erwarten, dass ein Unternehmen die Aufgabe der Sinnstiftung übernimmt. Diesen “Purpose” muss jeder eigenverantwortlich für sich definieren – und prüfen, ob die aktuelle berufliche Aufgabe dazu passt. Das eigene Herzblut ist zu wertvoll, um es sinnlos zu vergießen.