Planung und Improvisation – ein Widerspruch?
Ich bin Planer. Ich bin sogar ein professioneller, man könnte sagen: ein gelernter Planer. Die meisten Jobs, die ich während meiner Tätigkeit im Medienbereich hatte, enthielten den Begriff „Planer“ schon im Titel.
Ich bin aber auch privat ein Planer. Zu den häufigsten Fragen, die meine Frau mir im Alltag stellt, gehören „Wann müssen wir los?“ und „Wird es heute regnen?“. Es scheint also selbstverständlich, dass ich viel Zeit mit Google Maps und der Wetter-App verbringe. Die Antwort, die ich eigentlich auf die Frage nach möglichem Niederschlag geben möchte, lautet immer: „Ich weiß es nicht.“. Das wäre ehrlich und korrekt, so gut die Meteorologie in Deutschland auch ist. Aber das würde meiner Frau nicht helfen. Darum sage ich so etwas wie: „Die Regenwahrscheinlichkeit heute ist extrem gering. Wenn überhaupt, scheinen später kleine Schauer möglich. Wie immer sage ich das ohne Gewähr.“ Das ist kein Witz, so rede ich wirklich manchmal.
Und gleichzeitig propagiere ich immer wieder die Prinzipien der Improvisation als fundamentale Philosophie – für das Arbeitsleben und auch das Leben insgesamt. Planen und improvisieren, das fühlt sich doch eigentlich zunächst nach einem Widerspruch an.
Aber da ist keiner. Im Gegenteil.
Was uns ein simples Spiel über das Wesen der Planung lehrt
Eine meiner liebsten Übungen für Improvisation ist die „1-Wort-Geschichte“. Sie ist so schön, weil sie so simpel und deswegen so radikal ist. Zwei oder mehr Menschen erzählen zusammen eine Geschichte – und zwar im Wechsel jede Person immer nur mit einem Wort, jeweils anschließend an das, was vorher schon gesagt wurde. Wenn man das noch nie gemacht hat, klingt das nach Quatsch und Chaos. Aber wir erleben in unseren Workshops und Trainings jedes Mal wieder, wie dabei innerhalb weniger Sätze wunderbare Geschichten entstehen.
Die 1-Wort-Geschichte zeigt auch sehr eindrucksvoll das Spannungsverhältnis von Plan und Wirklichkeit. Hinter jedem Wort, das ich der Geschichte hinzufüge, steckt ein Plan. Ich merke, wo in der Erzählung wir gerade stehen und entwickle auf dieser Basis eine Idee, wo ich mit der Geschichte hin möchte. Mein Wort ist also alles andere als ein Zufallsprodukt. Aber in dem Moment, wo die andere Person ihr nächstes Wort hinzufügt, aus ihrer Perspektive ebenso zielgerichtet, wird mein Plan mit hoher Wahrscheinlichkeit komplett in sich zusammenbrechen. Die Realität hat sich verändert. Ein neuer Plan muss her.
Ein Beispiel: Person 1 (P1) etabliert einen Protagonisten, Person 2 (P2) reagiert.
P1 beginnt mit: „Peter“
P2 ergänzt: „war“
P1: „ein“
Und hier hat P1 einen Plan. Sie stellt sich Peter als Feuerwehrmann vor. P2 müsste also jetzt einfach nur „Feuerwehrmann“ sagen. Macht sie aber natürlich nicht.
P2 sagt nämlich: „trauriger“
Wie bitte? Was hat P2 denn da vor? P1 hatte sich doch schon gedanklich so schön auf ihre Geschichte vom Feuerwehrmann vorbereitet!
Ein guter Improvisator erkennt sofort die zwei Möglichkeiten: Entweder bleibt P1 bei ihrer Idee vom Feuerwehrmann. Der muss dann aber jetzt definitiv ein trauriger Feuerwehrmann, und das wird die Geschichte maßgeblich beeinflussen (und interessanter machen). Oder P1 nimmt den Impuls der Traurigkeit auf und ändert ihren ursprünglichen Plan komplett, macht Peter vielleicht zu einem traurigen Beamten oder einem traurigen König. Auch alles interessant, die Geschichte wird in beiden Fällen spannend weitergehen.
Die einzige Option, die P1 nicht mehr zur Verfügung steht, ist die eigentlich geplante: Dass Peter einfach nur ein Feuerwehrmann ist, ganz ohne definierte Gefühlslage.
Festhalten oder Loslassen?
Dieses Beispiel wirkt vielleicht zunächst nur amüsant und trivial. Aber die Prinzipien hinter dem Spiel der 1-Wort-Geschichte sind näher an der Realität von Businessplänen, als die meisten Manager sich das eingestehen würden.
Wir machen einen Plan auf der Basis unseres Wissens, unserer Wahrnehmung der aktuellen Realität. Und auf dieser Basis entwickeln wir eine Vorstellung davon, wie die Welt sich entwickeln wird und was wir in dieser Welt vorhaben. Was wir aber meistens ignorieren ist die Tatsache, dass sich die Welt in jedem Moment ändert. Mal sind die Veränderungen gering genug, dass der Plan noch sinnvoll bleibt. Aber irgendwann – und meistens sehr viel früher, als wir das wahrhaben wollen – müssten wir den Plan eigentlich anpassen. Und manchmal ist das Naheliegendste sogar, den Plan komplett zu vergessen und einen neuen zu machen.
Unsere klug erdachten Pläne zu ändern, fällt uns aber naturgemäß extrem schwer. Und gerade da hilft die Haltung der Improvisation, die uns klar macht: Wer nicht in der Lage ist, seinen Plan jederzeit an neue Realitäten anzupassen, wird scheitern. Der Fluss von Produktivität und Wertschöpfung wird blockiert, Mitarbeitende verschwenden ihre Zeit und Energie mit sinnloser Beschäftigung.
Planung und Improvisation im Einklang
Wäre es also nicht vielleicht besser, einfach gar nicht mehr zu planen? Das ist ja die Vorstellung, die viele vom Begriff „Improvisation“ haben. Einfach irgendetwas machen, ausgedacht aus einer Laune heraus. Das ist aber keinesfalls so! Wie die 1-Wort-Geschichte funktioniert auch Improvisation nicht ohne Pläne. Jeder Musiker, Künstler, Sportler beginnt seine Arbeit mit einem Plan, einer Orientierung, einer Vorstellung dessen, was geschehen soll. Und diese Orientierung braucht es auch im Business. Ohne Plan herrschen Zufall und Beliebigkeit.
Aber: Wir müssen eben bereit sein, diesen Plan in jedem Moment so anzupassen, wie es die Realität – also zum Beispiel die Marktentwicklung – erfordert. Ohne Klagen über das Eintreten des Unerwarteten, ohne Beharren auf den Ideen einer vergangenen Realität. Das ist Improvisation, und das macht Unternehmen lebendig, flexibel und jederzeit sinnvoll handlungsfähig.
Wenn meine Frau mich also fragt, wann wir los müssen, dann kann ich ihr das nicht sagen, wenn ich unser Ziel nicht kenne, keine Ahnung vom Weg dort hin habe und nicht weiß, wie lange man zum Beispiel mit dem Fahrrad dort hin braucht. Ich brauche eine Karte, einen Plan. Und dennoch wird die Realität wahrscheinlich anders aussehen: Ampeln werden länger rot oder schneller grün sein, vielleicht ist der Berg steiler als gedacht, oder ein Reifen ist auf einmal platt. Der Mathematiker und Philosoph Alfred Korzybski hat das perfekt auf den Punkt gebracht, als er schrieb:
„The map is not the territory” – Die Karte ist nicht das Gebiet. Und ein Plan ist nicht die Realität.
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